Stellungnahme von Dr. Eva Gesine Baur

Stellungnahme von Dr. Eva Gesine Baur zu den Rezensionen ihrer Maria Callas-Biographie, erschienen im Münchner Merkur und in der Abendzeitung


Stellungnahme zur Berichterstattung im Münchner Merkur

Der im Münchner Merkur erschienene Beitrag enthält neben zahlreichen unbelegten Behauptungen derartig viele fehlerhafte Aussagen und als Höhepunkt die Benennung eines einzigen Fehlers, der nachweisbar keiner ist, dass dem hier Fakten entgegengestellt werden sollen.
In der Rezension heißt es, die Autorin „zeichnet die Callas als ständiges Opfer, als Spielball anderer, meistens männlicher Mächte.“ Ich trete genau dieser Theorie entgegen: „Glaubwürdig hatte sie mit Lucia eines der vielen weiblichen Opfer in der Oper verkörpert, davor schon das Opfer Elvira, das Opfer Leonora, das Opfer Gilda. Maria selbst wollte offenbar kein Opfer sein und war entschlossen, ihr privates Dasein gegen jeden zu verteidigen, der die Prominenz von Callas ausbeuten wollte“ (S. 149). Weiterhin dementiert die Autorin die Opferrolle von Callas auf S. 204 und 308. Auf S. 286 übt sie Kritik an einem Buch, das Callas zum Opfer machte: „Das Buch belebte ein Gerücht wieder, das seit über zwanzig Jahren durch die Callas-Literatur geistert und nicht totzukriegen ist. Geliebt wird dieses Gerücht, weil es ein Bild von Maria Callas als Opfer bestätigt, das aber mit den Tatsachen nichts zu tun hat.“ Es gibt einige weitere Passagen dieses Inhalts.

„Viele Anekdoten werden ungeprüft übernommen“, behauptet der Text im Münchner Merkur, leider ohne einen Beweis dafür anzuführen. Mein Anliegen war, gerade populäre Wanderlegenden zu entlarven, und dafür kann ich Ihnen circa vierzig Beispiele liefern. Hier nur ein paar.

  1. Die Legende, Maria Callas sei laut Meinungsumfrage innerhalb eines Jahres von der am meisten bewunderten zur meistgehassten Frau mutiert, habe ich entkräftet, indem ich mir als erste Biographin die dieser Behauptung zugrundeliegende Meinungsumfrage vom Demoskopischen Institut Allensbach beschafft habe (S. 284).
  2. Die Legende, die Zeffirelli in seiner Autobiographie verbreitet, Callas und Meneghini hätten ihre Gagen bar und in Münzen in „Säcken“ mitgenommen, wird ad absurdum geführt.
  3. Die Anekdote, dass Callas mit Gemüse beworfen worden sei, wobei das Gemüse, der Ort und das Datum wechseln, habe ich dort angesiedelt, wo sie von dem anwesenden Visconti und der Presse bezeugt wird.
  4. Die Behauptung, Toscanini habe die Stimme von Tebaldi als „voce d’angelo“, als Engelsstimme, bezeichnet, wird bei mir erstmals in einer Biographie mit Quellennachweis widerlegt.
  5. Die Legende von Callas’ Sohn Omero Lengrini wird ebenfalls entkräftet. Viele Überlieferungen habe ich stillschweigend korrigiert. Jede Anekdote wurde einem Check unterzogen, was mich manchmal Tage kostete. Mehrfach weise ich in den Fußnoten darauf hin, dass Aussagen von Zeitgenossen mit Vorsicht behandelt werden müssen, weil sie erst später oder nach dem Tod von Maria Callas gemacht worden sind, und anders als die bisherigen Biographen warne ich auch davor, Aussagen von Callas selbst für bare Münze zu nehmen.


Weiter heißt es: „Fast genussvoll werden die vielen Skandale und Absagen aufgelistet.“ Das Epitheton insinuiert eine Schadenfreude, die mir fremd und in diesem Buch nirgendwo nachweisbar ist. Den sogenannten Norma-Skandal in Rom schildere ich aus der Warte von Callas’ enger Freundin Giovanna Lomazzi, die mit ihr empathischer war als sonst jemand. Was sie hörte, was übertragen wurde, habe ich überprüft.
„Aufgelistet“ wird in diesem durcherzählten Buch nichts außer Quellen und Literatur.

Der Text moniert zudem, dass die Autorin sich „um Musikalisches und Vokales fast vollkommen drückt. Anstatt zu beschreiben, was Wohl und Wehe dieser Stimme ausmacht, warum sie diese fatale Entwicklung nehmen musste, liest man Fragwürdiges („nichts auszusetzen“, „rund“, „weich“) oder Seltsames bis Falsches: Birgit Nilsson hat nicht nur die Venus im Tannhäuser gesungen, sie war vor allem auch die Elisabeth.“
Das Wort „rund“ kommt in Zusammenhang mit Callas’ Stimme ein einziges Mal vor, in einem Zitat aus dem Daily Express (S. 258). Der Begriff „weich“ taucht drei Mal, ebenfalls nur in Zitaten auf (S. 275, S. 328 und S. 381), einmal verwende ich das Wort „weicher“ selbst für eine Stelle, bei der jedem, der sie auf dem Live-Mitschnitt (Warner) nachhört, nichts anderes einfallen dürfte. Es geht um die Stelle, wo Anna Bolena vor ihrer Hinrichtung den Feinden, die sie zuerst angriff, verzeiht (S. 225). Das Urteil „nichts auszusetzen“ wird zwei Mal als Urteil anderer Personen wiedergegeben.
Zu Birgit Nilsson heißt es (S. 189): „Die Besucherin aus Schweden [= Nilsson], die am 22. März ihre Kollegin Maria Callas endlich einmal auf der Bühne erleben wollte, kannte den Betrieb. Birgit Nilsson war letztes Jahr hier als Venus in Wagners Tannhäuser aufgetreten, dieses Jahr wurde aufgezeichnet, wie die Naturgewalt ihrer Stimme das riesige Opernhaus füllte.“ Nilsson hat in besagtem Jahr in Neapel nicht die Elisabeth, nur die Venus gesungen. Sie sang in Neapel die Elisabeth nie. Kestings Verfahren ist, bei jedem bedeutenden Namen dessen Vita in Daten aufzulisten, so z. B. bei Toscanini, oft zwei Seiten lang; da dieses Verfahren den Lesefluss unnötig aufhält und alle diese Daten auf Wikipedia oder im Brockhaus nachzulesen sind, habe ich darauf verzichtet. Meine Aussage ist nicht falsch, sie ist richtig.
Ich drücke mich weder um Musikalisches noch um die Stimmentwicklung von Callas. Erstmals in einer Gesamtbiographie von Callas (Kapitel 2 und 3) wird bei mir ausführlich beschrieben, welche Probleme an deren Stimme bereits Studienkollegen, Lehrer und Rezensenten in ihrer Jugend in Athen feststellten.
Ich schildere bestimmte oft gerügte Eigenarten der Stimme, wie das sogenannte wobble, das Wackeln besonders auf hohen Noten, und beschreibe sogar eine Privatstunde, die Elisabeth Schwarzkopf ihrer Kollegin und Freundin Maria Callas erteilte (S. 155). Mehrfach gehe ich darauf ein, wie Stressbelastung, Überforderung oder das Klima der Stimme von Callas zusetzten (z. B. S. 175, S. 197 und S. 214). Kesting, der nach Ansicht der Rezension „tiefer“ geht, fügt seinem Buch knapp viereinhalb Seiten lockere Anmerkungen an, bei mir sind es einundvierzig dichtgedrängte Seiten mit präzisen Angaben. Es waren ursprünglich vier Mal so viele, die gekürzt werden mussten, jedoch alle erhalten sind und gerne angereicht werden.
Kestings Literaturliste enthält keinerlei archivalische Quellen, nur Bücher (2 Seiten) und Aufsätze (knapp 1 ½ Seiten) sowie „Allgemeine Literatur“ (2 Seiten), in der sogar Opernführer aufgelistet werden oder philosophische Arbeiten, in denen es nicht um Gesang, schon gar nicht um Callas geht. Bis auf einige Ausnahmen in Englisch bezieht er seine Informationen nur aus deutschsprachiger Literatur. Ich führe alle verwendeten Quellen so auf, wie es wissenschaftlich gebräuchlich ist, akustische Dokumente, filmische Dokumente, benutzte Archive und veröffentlichte Literatur. Es handelt sich um italienische, französische und englische Texte und mehr als das Dreifache, fast das Vierfache von dem, was Kesting nennt, hinzu kommen in den Fußnoten zitierte Quellen, die nur einmal aufgeführt werden.


Stellungnahme zur Berichterstattung in der Abendzeitung

Die Kritik der in der Abendzeitung erschienenen Rezension erschöpft sich in fehlerhaften Behauptungen, Unterstellungen und Desiderata. Auf die Desiderata möchte ich nicht weiter eingehen; die gewünschten Zusatzinformationen, zum Beispiel Vergleiche mit anderen Opernaufführungen der Zeit ohne Callas, interessiert die Leserschaft einer Callas-Biographie schwerlich, sie erwarten was draufsteht: eine Lebensbeschreibung. Keine musikhistorische Abhandlung, keine Stimm-Analyse, keine Untersuchungen zum Phänomen der Diva, was es alles schon gibt.
Hier eine kleine Auswahl aus den durchgehend fehlerhaften Aussagen.

  1. Falsch: „Danach [nach den ersten Kapiteln] berichtet Baurs Biographie vom Üblichen.“ Der Text entlarvt sich und seine Vorgehensweise selbst. Das, was ich in meiner Callas-Biographie erstmals geleistet habe, sie im Kontext ihrer Zeit zu zeigen, im politischen, soziologischen, im gesamten kulturellen, wird übernommen, ohne zu sagen, dass genau das von mir kommt: „In einer maximal politisierten Zeit interessierte sie sich überhaupt nicht für Politik wie die Pariser Studentenunruhen von 1968 oder die Frauenemanzipation ließen sie unberührt.“ Diese Ereignisse und zahllose weiter werden in Zusammenhang mit ihr nur bei mir detailgenau geschildert. Nachweisbar wurden in einer Biographie noch nie so viele zeitgeschichtliche Details im Leben von Callas erfasst, noch nie wurden so viele neue Blickwinkel eröffnet, aus denen Callas betrachtet wird, alle mit Dokumenten belegt: Wie Richard Burton (S. 364-369 u.a.), wie Birgit Nilsson, wie das Ehepaar Pinnau sie erlebte und sah (S. 295-309) oder Werner Schroeter. Seine erste Begegnung mit Callas in Paris (S. 420-421) ist selbst Kennern gänzlich neu. Auch die Dreharbeiten zu Medea in Kappadokien (S. 375-378) werden akribisch genau erzählt. Wer weiß schon, dass Callas vom Kassettenrecorder Beatles und Sinatra hörte und dabei mitsang. Über die Afrika-Reise von Callas mit Bestseller-Autor Alberto Moravia (S. 384-388) werden die meisten Callas-Kenner nie etwas gelesen haben, ebenso wenig über die aufschlussreichen Details der Dreharbeiten in der Lagune von Grado, alles noch niemals Gegenstand in einer Callas-Biographie.
  2. Falsch: „Die Intendanten werden … als Pfennigfuchser dargestellt.“ Abgesehen von neuen Hintergrundinformationen und detaillierten Angaben zu Scala-Intendant Ghiringhelli findet sich in dieser Biographie ein ausführliches Porträt des Met-Intendanten Bing, des wichtigsten Intendanten für Callas, belegt mit bisher nie in einer Biographie zitierten, teilweise unveröffentlichten Quellen. Selbst der Wechsel von Du nach Sie in der italienischen Korrespondenz von Callas und Bing wird hier als Gradmesser der Beziehung exakt durchleuchtet.
  3. Halbfalsch: „Mehrfach ist von den Rezitativen Cherubinis die Rede: Die stammen nur leider nicht vom Komponisten selbst, sondern von Franz Lachner.“ Da in der Rezension gerne mit Wikipedia argumentiert wird: Das steht dort in den ersten Zeilen unter Medea. Von den Rezitativen Cherubinis ist bei mir in zwei Fußnoten die Rede, S. 450 und S. 469. Ich behaupte in keiner Zeile, dass die Rezitative von Medea von Cherubini stammen; ich zitierte wörtlich, was Callas darüber sagte: die Oper lebe von den Rezitativen, eine spannende und ungewöhnliche Aussage.
  4. Falsch: „Der Klatsch über eine Fehlgeburt fülle fast ein ganzes Kapitel.“ Erstens geht es nicht um eine Fehlgeburt, sondern um eine Geburt. Vor allem aber wird in diesem Kapitel keineswegs Klatsch kolportiert, vielmehr akribisch nachgewiesen, dass es sich um Klatsch handelt, was in zahlreichen Biographien, Filmen (arte) und sogar einem Roman ausgebreitet und bereitwillig geglaubt wurde. Kesting widmete sich als internationaler Stimm-Experte eine halbe Seite lang in der FAZ dem Roman Die Stimme meiner Mutter von Eva Baronsky, also exakt jenem “Klatsch“ von Omero Lengrini, weil er das Bild von Callas vorsätzlich verzerrt. Das ist alles bei mir nachzulesen. Besonderen Wert habe ich auf diesen Exkurs deshalb gelegt, weil er die Mechanismen von fake news vorführt, mit der auch heute Stars beschädigt werden. Zuweilen auch Autorinnen einer Biographie. Ich beziehe mich auch auf aktuelle wissenschaftliche Studien wie die der Londoner Rechtspsychologin Julia Shaw (S. 294) um das zu fundieren.
  5. Falsch: „Über die Medea oder die Lucia der Callas erfährt man wenig.“ Medea kommt 119-mal vor, Lucia 66-mal.
  6. Falsch: „An chronologisch passender Stelle gibt es Zitate aus den zentralen Essays von Ingeborg Bachmann und René Leibowitz, doch schon nach einer halben Seite eilt die Autorin der Callas mit den Paparazzi zur nächsten Party hinterher.“ Erstmals wird hier gesagt, in welchem Kontext der großartige Essay von Bachmann entstand, dass es zwei Fassungen dieses Essays gibt und Bachmann Callas nur durch Zufall in einer Probe in der Scala hörte. Das wird nicht auf einer halben Seite abgehandelt, sondern auf fast zwei (S. 187-188) und danach geht es nicht mit den Papparazzi zur nächsten Party, sondern zu einer Probe und Aufführung im Teatro San Carlo in Neapel (S. 189-190).
  7. Falsch: "Wer die Klatschreporterin Elsa Maxwell war … muss man im Internet nachschlagen.“ Im Internet (Datum: 1.III. 2023) steht keine Zeile über das, was ich von Maxwell berichte: dass sie als eine sexuell nur an Frauen interessierte Person des öffentlichen Lebens ihre eheähnliche Lebensgemeinschaft mit einer Frau verheimlichte, die damals in den USA strafbar war; dass sie in Callas erotisch verliebt war, wie zu es zur Entzweiung kam, dass sie Callas zu ihrer Gesamt-Erbin erhob und wie es möglich war, dass sie als Kolumnistin in den 1950er und 1960er Jahren weltweit derartig viele Menschen erreichen konnte. Alles das steht nicht im Internet, nur bei mir. Allein die Anzahl der Seiten, auf denen ich über Maxwell schreibe, sagt genügend zu Braunmüllers Behauptung: S. 198-200, 210, 212,215, 217-230, 248, 250 f., 258-260,265 f., 275, 284, 300, 305, 315 f …
  8. Falsch: „Der Leser wird durchweg mit Namedropping abgespeist.“ Diese Behauptung widerlegt das Buch Seite für Seite. Über Pasolini, Visconti, Liz Taylor, deren Besuch auf Onassis-Yacht Christina ich erstmals nachweise, oder auch Mac Nally ist hier absolut Neues nachzulesen. Hunderttausende haben weltweit das Stück Masterclass von Mac Nally gesehen, ich berichte erstmals in einer Biographie, dass Mac Nally bei den Masterclasses assistierte und Callas feierte. „Ihre Studenten sind die glücklichsten jungen Sänger der Welt. Wie nobel Sie mit ihnen umgehen und wie sie reagieren!“ (S. 400-401) Um sie dann nach ihrem Tod in seinem Stück zu einem Monster zu verzerren.

Konkret kann die Rezension bis auf die Aufnahme der Lucia von Fricsay, die tatsächlich vor der von Karajan mit demselben Orchester entstand, keinen einzigen inhaltlichen oder sachlichen Kritikpunkt zu einem Buch von 500 Seiten vorbringen. Die Behauptung, bei Kesting „stehe das Notwendige an Biographischem über Callas“, ist ebenfalls zu falsifizieren, wobei dort nicht ein einziges Mal ihr Name korrekt geschrieben wird: Kalogeropoulou. Dort findet sich nur ein Bruchteil des Wikipedia-Artikels, aber das ist gerechtfertigt, Callas‘ Leben zu schildern war nicht Kestings Anliegen. Auf seinem Buch steht nicht Biographie.

Dr. Eva Gesine Baur
München, den 1. März 2023