Seit Anthony Doerrs Debüt „Der Muschelsammler“, einem Erzählungsband, fiel er durch seine Natur- und Landschaftsbeschreibungen auf, die etwas zugleich Magisches und Transzendentes annehmen, die Seelentiefe seiner Geschichten, seine ungewöhnlichen Figuren und die Intensität seiner Sprache. Es folgten weitere Erzählungsbände und der Roman „Winklers Traum vom Wasser“, er wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, zog mit seiner Familie nicht nach New York, sondern blieb in Idaho – bis auf zwei Jahre in Rom – und schrieb weiter mit der Detailkenntnis und Besessenheit, die er an Albrecht Dürer bewundert. Und dann kam der Roman „Alles Licht, das wir nicht sehen“ und verkaufte sich allein in den USA über zwei Millionen mal, weltweit mehr als viermal so viel und Anthony Doerr, 1973 in Cleveland geboren, erhielt dafür den Pulitzer-Preis. Er hat sich Zeit genommen, schrieb weitere Erzählungen und den Roman „Wolkenkuckucksland“, der nun erscheint, ein wundersames und wunderschönes Buch über die Überlebensfähigkeit von Menschen und Geschichten, die geheimnisvolle Macht von Erzählungen und Träumen, erzählt in drei Strängen, die zeitlich weit auseinanderliegen und doch auf staunenswerte Weise zusammenhängen. 

1. Was haben Sie im Studium fürs Leben gelernt?
Das Wichtigste, das ich als Kind einer Mutter gelernt habe, die Naturwissenschaft unterrichtete, war, dass Lernen nicht auf die Schule beschränkt ist. Jede wache Minute unseres Lebens birgt die Chance, unserer Neugierde nachzujagen.


2. Womit haben Sie Ihr erstes Geld verdient?
Im Sommer, als ich vierzehn war, habe ich für 4$ die Stunde Pferdeställe gereinigt. Dazu musste ich mich durch die Boxentür quetschen, dem Pferd Zügel anlegen und es herausführen, die Box säubern und es dann wieder zurückbringen. Ich hatte vorher noch nie mit Pferden zu tun gehabt und ihre schiere Größe erschreckte mich. Ein nervöses Pferd machte mir besonders Angst in jenem Sommer; meistens sagte ich, ich hätte seine Box sauber gemacht, obwohl das gar nicht stimmte, weil ich mich so vor dem Tier fürchtete.


3. Was wollten Sie als Kind werden?
Ein Jahr lang habe ich jedem, den ich kennenlernte, erzählt, ich wolle Architekt werden. Ich habe keine Ahnung, wie ich darauf gekommen bin; ich bin in einem Haus aufgewachsen, dessen Grundriss sich in keiner Weise von dem der Nachbarhäuser unterschied.


4. Wie sieht ein gelungener Tag in Ihrem Leben aus?
Ich wache auf und es hat geschneit, ich wecke die Kinder und wir gehen Skifahren. Meine Söhne sagen immer, es gibt den „normalen Dad“ und den „Schnee-Dad“ und dass der „Schnee-Dad“ viel lustiger ist.


5. Was ertragen Sie nur mit Humor?  
Den Verkehr.


6. Ein großes „Beinahe“ in Ihrem Leben?
Als ich 23 oder 24 war, machte ich den LSAT, einen vorbereitenden Test für die Zulassung zum Jurastudium. Seit Jahren schrieb ich Kurzgeschichten in meine Notizbücher, hatte aber nie den Mut, sie irgendjemandem zu zeigen. Ich dachte, ich müsste wohl meinen Traum, Schriftsteller zu werden, aufgeben und versuchen, Anwalt zu werden. Beinahe kam es auch dazu. Aber dann beschloss ich mich – als letzte Zuflucht –bei ein paar Studiengängen für Kreatives Schreiben zu bewerben und bei einem wurde ich angenommen.


7. Welche Redewendung strapazieren Sie über?
„Das ist genial.“                 


8. Welche drei Geister würden Sie gern zum Dinner einladen? 
Herodot, Cleopatra und Ötzi, den Mann aus dem Eis, dessen mumifizierte, 5000 Jahre alte Leiche in den Alpen entdeckt wurde. Als erstes würde ich alle drei nach ihren Schuhen fragen.


9. Welche Künstler beeindrucken Sie? 
Albrecht Dürer. Seine Ambition und seine Aufmerksamkeit für Details sind Dinge, die ich auch in meiner eigenen Arbeit anstrebe.


10. Welche Eigenschaften schätzen Sie an einem Menschen am meisten? 
Freundlichkeit, Geduld und ein guter Sinn für Humor


11. Ihr liebstes Smalltalk-Thema?
Das Wetter natürlich.


12. Welche Zeitungen, Magazine und Blogs lesen Sie? 
Die New York Times, die Washington Post, den New Yorker und The Athletic.


13. Was inspiriert Sie? 
Einen Ort in der Wildnis still und ruhig zu erkunden.


14. Ihre Lieblingsbuchhandlung?
Unmöglich zu sagen. Wenn ich gezwungen werde, würde ich sagen, Powell’s Books in Portland, Oregon.


15. Welchen Satz haben Sie sich zuletzt aus einem Buch notiert?
„Ich spürte allmählich, dass ich zu einer größeren Artenfamilie gehörte, einer Gemeinschaft von Lebewesen, der Matrix des Lebens, von den Spinnen über die Flechten und den Kormoranen bis zu den Blesshühnern.“ (Aus: Losing Eden von Lucy Jones, dt. Die Wurzeln des Glücks)


16. Welches Buch würde niemand in Ihrer Bibliothek erwarten?

Die Gesamtausgabe in vier Bänden von „Calvin und Hobbes“, den Comics von Bill Watterson


17. Ein Buch, das Ihr Leben verändert hat?
The Story and Its Writer, eine Short Story-Anthologie, 1600 Seiten dick, die ich sieben Monate lang in meinem Rucksack auf meiner Neuseelandreise mit mir herumgetragen habe, als ich 22 Jahre alt war. Der Band enthielt 115 Short Storys in alphabetischer Reihenfolge, von Chinua Achebe bis Richard Wright, und vermittelte mir die vielen Möglichkeiten des Erzählens mindestens so gut wie jede Universität. Als ich vor einigen Jahren erfuhr, dass meine Erzählung „Die Tiefe“ für eine Neuauflage von The Story and Its Writer ausgewählt worden war, war das wohl der stolzeste Augenblick in meinem bisherigen Schriftstellerleben.

"Ein wahnsinnig fantasievoller, an Lebensfülle überquellender Roman, der eine enorme Bandbreite von Erfahrung und Weisheit aufspannt und selbst das Geschenk des Erzählens verkörpert, das seine Handlung zelebriert. Ihm gelingt schlussendlich auch eine Auflösung, die sich gleichermaßen überraschend wie unausweichlich anfühlt. Kopfschüttelnd blättert man zur Eröffnungsszene des Buchs zurück und bewundert die Meisterhaftigkeit der ganzen Konstruktion."
New York Times Book Review