Die US-amerikanische Autorin Lily King wuchs in Massachusetts auf, wo auch ihr neuester Roman "Writers & Lovers" spielt, zog etwa zehnmal innerhalb der USA um und landete schließlich in Portland (Maine), wo sie heute lebt. Diese innere Unruhe, die sie ständig trieb und nicht ankommen ließ, die Mittel- und Ziellosigkeit dieser Zeit spiegelt sich auch in den Charakteren ihrer preisgekrönten Romane. Denn Lily King schreibt über scheinbar unüberwindbare Widerstände im Leben ihrer Figuren, über deren Zerbrechlichkeit, über augenscheinliche Chancenlosigkeit gegenüber äußeren Umständen, wie finanzielle Notlagen, die zu Unterdrückung führen, oder Männer, die zerstörerisch auf den Lebensweg von Frauen einwirken. Und gleichzeitig flammt in ihren Figuren immer wieder eine innere Resistenz und Resilienz auf, die es ihnen ermöglicht zu bestehen. All diese Charakteristika finden sich auch in Casey, der Protagonistin ihres neuen gefeierten Romans "Writers & Lovers". Mit Casey hat Lily King sich endlich die weibliche Identifikationsfigur geschaffen, die ihr selbst in ihrem Studium, in den ersten Jahren ihres Schreibens fehlte: Neben Hemingway, Joyce, McInerney eine Frau, eine Schriftstellerin, die von den Anfängen des Schreibens und all ihren damit verbundenen Widerstandkämpfen erzählt.

1. Was haben Sie im Studium fürs Leben gelernt?
Ich habe gelernt, dass die Studentinnen und Studenten mit dem größten Schreibtalent selten diejenigen sind, die dann auch Bücher veröffentlichen. Die begabtesten unter ihnen haben sich für einen anderen Karriereweg entschieden, das macht mich immer noch sprachlos.


2. Womit haben Sie Ihr erstes Geld verdient?
Als ich zwölf Jahre alt war, begann ich bei Familien in der Nachbarschaft als Babysitterin zu jobben. 25 Cent pro Stunde. Das habe ich jahrelang gemacht.


3.Wie sieht ein gelungener Tag in Ihrem Leben aus?
Schreiben, lesen, Sport, Zeit mit meiner Familie gemeinsam an einem großen Esstisch verbringen.


4. Was nehmen Sie sich immer wieder vor?
Seit Beginn der Pandemie sage ich mir fast jede Woche: Nächsten Montag beginne ich mit meinem neuen Buch. Das ist immer noch nicht passiert. Aber letzten Samstagnachmittag habe ich mal eine Seite geschrieben. Ich hoffe, das ist ein Anfang. Und auch ganz bürgerliche Dinge wie: in der Gegenwart leben, weniger voreingenommen sein, mein Herz weiter öffnen.


5. Was ertragen Sie nur mit Humor?
Schmerz. Den ersten großen körperlichen Schmerz in meinem Leben hatte ich, als ich mir die Schulter ausgekugelt hatte, und ich konnte einfach nicht aufhören zu lachen. Das Ganze war irgendwie absurd – ich war auf einer kleinen Insel vor der Küste von Maine, der einzige Arzt musste aus seiner Chorprobe geholt werden, er hatte noch nie zuvor eine Schulter zurück in ihre Gelenkpfanne gelegt, also holte er ein großes Medizinbuch hervor, legte es neben mich auf den Untersuchungstisch und las daraus vor, während er meinen Arm zurück in seine Position manövrierte. Er sah nervöser aus, als ich es war.


6. Ein großes "Beinahe" in Ihrem Leben?
Wenn der Name meiner Freundin Bernardine beispielsweise Susan oder Mary gewesen wäre, hätte ich niemals meinen Mann kennengelernt. Ich war mit einer Frau namens Bernardine in Vermont auf einer Schriftstellerkonferenz, aber ich lernte sie nicht sonderlich gut kennen und hatte auch danach keinen Kontakt mehr zu ihr. Doch fünf Jahre später, als ich in Kalifornien lebte und darüber nachdachte, mich für einen Job in D.C. zu bewerben, sagte mir meine Freundin Sam Chang, dass ihre Bekannte Bernadine diesen Job einige Jahre zuvor gehabt und ihn sehr gemocht hatte. Und ich sagte: Bernadine – ich kenne eine Bernadine (das ist hier ein sehr ungewöhnlicher Name). Sam gab mir ihre Adresse und ich rief sie in New York an, wir hatten ein tolles Gespräch. Ich habe den Job nicht bekommen und ein paar Jahre später bin ich zurück in die Gegend von Boston gezogen. Kurz bevor ich Kalifornien verließ, bekam ich eine Postkarte von Bernardine, in der sie mir schrieb, dass sie auch dorthin gezogen war. Wir verbrachten von da ab viel Zeit miteinander und eines Abends war ein Freund eines Freundes von ihr dabei. Es endete damit, dass ich ihn heiratete. Wir gaben unseren Kindern seltene, ungewöhnliche Namen, weil wir uns wahrscheinlich nie getroffen hätten, wenn Bernardines Name nicht so seltsam gewesen wäre.


7. Der beste Ort der Welt, der beste Ort in New York?
Ich denke, wenn ich mich gerade irgendwo hinbeamen könnte, wäre das in ein Café in Italien. Ich bin da auch gar nicht wählerisch, wo genau das sein soll. Der beste Ort in Portland (Maine) wiederum ist der Eastern Prom, ein Park direkt am Wasser, mit wunderschöner Aussicht und einem kleinen Strand am Fuße des Hügels.


8. Welche Künstler beeindrucken Sie?
Meine Schwiegermutter, Harriet Moore Ballard. Ihre Bilder hängen überall in unserem Haus und ich halte sie wirklich für ein Genie. Auch die Werke von Vincent van Gogh, Berthe Morisot und Matisse bewegen mich sehr stark.


9. Welche Eigenschaften schätzen Sie an einem Menschen am meisten?
Ein großes Herz und Sinn für Humor.


10. Ihr liebstes Smalltalk-Thema?
Am liebsten mag ich es, wenn man denkt, man stünde kurz vor einem Smalltalk und dann sagt dein Gegenüber etwas sehr Persönliches, etwas Grundlegendes, und plötzlich taucht man in viel tieferes Wasser ein. Ich liebe das. Aber das ist nicht planbar, man kann es nicht arrangieren. Man kann es nur genießen, wenn es passiert.


11. Welcher Illusion geben Sie sich gerne hin?
Unsterblichkeit. Da kommt nichts anderes ran.


12. Welche Zeitungen, Magazine und Blogs lesen Sie?
Wir kriegen die New York Times geliefert, die lese ich also jeden Morgen, dann online ein wenig die Washington Post, den Guardian und die Postland Press Herald. Den New Yorker und Unmengen an Artikeln aller möglichen Magazine lese ich auch online. Blogs lese ich keine, aber ich bin offen für Empfehlungen.


13. Ihre Lieblingsbuchhandlung?
Print. Das ist ein Buchladen einige Blocks den Hügel hinunter von meinem Haus hier in Portland (Maine).


14. Ihr Lieblingsmuseum?
In den frühen Neunzigerjahren hatte ich eines dieser mystischen Erlebnisse, wie man es nur mit der Kunst und Architektur eines Gebäudes in Cuenca, Spanien, haben kann. Es war ein kleines Museum mit abstrakter Kunst und ich habe dieses Gefühl nie vergessen, das ich hatte, als ich durch diese kleinen Räume dort ging.


15. Welchen Satz haben Sie sich zuletzt aus einem Buch notiert?
„Unsere Herzen müssen beim Schreiben so offen sein wie das Herz Gottes.“
Das ist aus Elizabeth Strouts „Die Unvollkommenheit der Liebe“, einem meiner Lieblingsbücher. Es ist der Ratschlag, den eine Schriftstellerin der anderen am Ende des Buches gibt.


16. Welchem Politiker würden Sie welches Buch empfehlen?
Ich würde Donald Trump mein Buch „Vater des Regens“ empfehlen, wenn er fähig wäre, ein Buch zu lesen. Es handelt von einem selbstsüchtigen Narzissten, der es sich aufgrund seiner eigenen Bedürfnisse erlaubt, die Leben anderer um ihn herum zu zerstören.


17. Ein Buch, das Ihr Leben verändert hat?
Mit 10 Jahren habe ich „It’s Not the End of the World“ von Judy Blume gelesen und während ich las, dachte ich immerzu: Solche Bücher möchte ich eines Tages schreiben. (Vor Judy Blume hatte ich noch keine realistischen Bücher gelesen.) In den Kinderbüchern, die ich davor las, kamen sprechende Tiere, Reisen ins All oder magische Länder vor. Und im Lesen dieses Buches begriff ich auf einmal: Ich könnte über ganz gewöhnliche Menschen schreiben, die sich einfach in der Küche miteinander unterhalten. Und ich wusste, dass ich genau das wollte.