Er kommt aus Köln, hat in Tübingen Astrophysik studiert, einige Jahre als Astrophysiker gearbeitet und lebt seit Ende der achtziger Jahre in Berlin. Seit seinem Debütroman „Freigang“, der mit dem renommierten Aspekte-Preis geehrt wurde, hat er ein umfangreiches Werk geschaffen. Dabei spielen Blick und Weltanschauung der Naturwissenschaften immer wieder eine Rolle, aber auch die Liebe und das Zeitgeschehen und eine komplexe Verwobenheit dieser Themen und Ebenen. Sein Stil ist elegant, die Geschichten sind nicht selten ergreifend, manchmal tragisch. So auch in Ulrich Woelks Roman „Der Sommer meiner Mutter“, mit dem er 2019 zum Verlag C.H.Beck dazustieß und der ein großer Erfolg wurde. Nun erscheint der bislang umfangreichste und wohl auch ambitionierteste Roman des 1960 geborenen Autors, „Für ein Leben“, für den er den Alfred-Döblin-Preis erhielt. Der Roman erzählt die Geschichte zweiter Frauen, Niki und Lu, deren Begegnung im Berliner Wedding Folgen hat, die sie niemals erwartet hätten. Der weitgefächerte und außerordentlich fesselnde Roman erzählt nicht nur eine deutsche Geschichte der letzten fünfzig Jahre, sondern auch darüber, wie sich die geheimnisvolle Verschlungenheit des Lebens in immer neuen Formen manifestiert.

1. Was wollten Sie als Kind werden? 
Astronaut.


2. Was haben Sie im Studium fürs Leben gelernt?
Dass es richtig ist, seinen Neigungen zu folgen. Astrophysik und Philosophie haben mich interessiert. Ich habe mich nie gefragt, was mir das, was ich tue, später einbringt – schon gar nicht finanziell.


3. Womit haben Sie Ihr erstes Geld verdient?
Mit Rasenmähen in unserem Garten. Dafür bekam ich fünfzig Pfennig. Einmal habe ich dabei mit dem Mäher das Stromkabel durchtrennt. Ich glaube, die fünfzig Pfennig habe ich aber trotzdem bekommen.


4. Wie sieht ein gelungener Tag in Ihrem Leben aus?
Tagsüber gut schreiben, abends gut essen, mit meiner Frau, und wenn es wieder geht, mit Freunden.


5. Was nehmen Sie sich immer wieder vor? 
Mich mehr zu bewegen.


6. Ein großes „Beinahe“ in Ihrem Leben?
Ich hätte als Astrophysiker in Göttingen habilitieren können, bin aber in Berlin geblieben und habe mich ganz fürs Schreiben entschieden. Das war keine leichte Entscheidung und keine gegen die Physik, sondern für die Literatur.


7. Ihre gegenwärtige Geistesverfassung?
Ich habe mit „Für ein Leben“ gerade den umfangreichsten Roman meines Autorenlebens abgeschlossen. Zwei Jahre lang habe ich kaum etwas anderes im Kopf bewegt als meine Figuren und ihre Geschichten. Und nun ist der Roman fertig, und das spüre ich, das neue geistige Gleichgewicht muss sich erst noch einpendeln.


8. Mit wem würden Sie gern einen Tag den Platz tauschen?
Mit einer Frau.


9. Welche Eigenschaften schätzen Sie an einem Menschen am meisten?
Aufrichtigkeit, Zurückhaltung, Kompetenz, Humor.


10. Ihr liebstes Smalltalk-Thema?
Ich bin kein sehr guter Small-Talker. Am liebsten spreche ich über Erlebtes, das können durchaus auch alltägliche Dinge sein, und natürlich über Kunst, über Bücher, Filme, Musik.


11. Wie brechen Sie das Eis in Gesprächen?
Das überlasse ich meiner Frau.


12. Welcher Illusion geben Sie sich gerne hin?
Der, dass noch viel mehr vor mir liegt als hinter mir.


13. Ihre Lieblingsbuchhandlung?
Die Buchhandlung Haberland ganz in meiner Nähe. Zum Glück brauchte ich als Buchkäufer auch nicht ins Netz abzuwandern, denn in Berlin durften die Buchhandlungen im Lockdown weiter öffnen. Da ist hier wirklich mal was richtig gemacht worden.


14. Ein unvergesslicher Ort, an dem Sie waren?
Da gibt es natürlich viele. Etwas sehr Besonderes war der South Carolina Botanical Garden in Clemson. Clemson ist eine kleine, unspektakuläre Universitätsstadt in South Carolina, das wäre also nicht der Rede wert. Aber Clemson lag am 21. August 2017 mitten im Kernschatten einer totalen Sonnenfinsternis – und die war tatsächlich unvergesslich. Die Amerikaner nennen so etwas ein once-in-a-lifetime Erlebnis, und dem kann ich mich nur anschließen. Hinzukommt, dass die Erfahrung eine der Inspirationen für „Der Sommer meiner Mutter“ war.


15. Woran zweifeln Sie am meisten? 
An meinen eigenen Texten, solange ich an ihnen arbeite. Wenn sie dann aber einmal gedruckt sind, vergeht dieses Gefühl. Wann immer ich in früheren Büchern herumblättere, bin ich d‘accord. Ich weiß, dass ich heute manches anders machen würde, aber das ist völlig in Ordnung.


16. Welches Buch würde niemand in Ihrer Bibliothek erwarten?
Vielleicht „Die Akte Odessa“ von Frederick Forsyth aus dem Jahr 1972. Das stammte aus den Regalen meiner Schwiegereltern. Ich hatte mich bei einem Besuch einmal darin festgelesen. Und wenn man die Rollenklischees von Männern und Frauen – eigentlich gibt es in dem Roman bis auf eine Stripteasetänzerin nur Männer – als der damaligen Zeit geschuldet verzeiht, ist es ein guter, politisch engagierter Unterhaltungsroman.


17. Ein Buch, das Ihr Leben verändert hat? 
Mein Debütroman „Freigang“ vor dreißig Jahren.

Er ist sehr nah bei seinen Figuren,
die ganz individuell und besonders sein dürfen
und die doch Repräsentanten ihrer Zeit,
ihrer Versprechungen und ihres Verhängnisses sind.

Jörg Magenau, Süddeutsche Zeitung über «Der Sommer meiner Mutter»