2017 jährt sich die Oktoberrevolution zum 100. Mal – ein guter Grund unsere Autoren, die sich in ihren Büchern auf vielfältigste Weise mit russischer Geschichte, Politik und Kultur befassen, zu fragen, worin für sie das Faszinierende an diesem Land, das einerseits so prägend für die Weltgeschichte war, andererseits heute sehr zwiespältig betrachtet wird, besteht – kurz gefragt: „Warum Russland?“
© Brigitte Friedrich
Martin Aust, warum Russland?
Tschaikowski, Strawinski und Schostakowitsch, Gorbatschows Perestrojka und eine lebhafte Diskussion der Stalin-Note im Geschichtskurs – sie alle lenkten während meiner letzten Schuljahre meine Aufmerksamkeit auf Russland und die Sowjetunion und weckten den Wunsch, Osteuropäische Geschichte zu studieren. Erste Reisen führten mich Mitte der 1990er Jahre nach Warschau, Kiev, Moskau, St. Petersburg und Novgorod und steigerten meine Faszination. Das Studium machte mir rasch klar, wie ambivalent das Bild von Russland in Deutschland über Jahrhunderte hinweg gewesen ist: Hoffnungen und Ängste, Anziehung und Abstoßung waren und sind darin verwoben. Ähnliches gilt für die Russische Revolution, die mich zuletzt in meiner Arbeit beschäftigt hat. Die Russische Revolution war ein euphorischer Aufbruch zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Bürgerrechten, sozialer Gerechtigkeit und Frauenemanzipation. Rasch führte sie jedoch in einen bestialischen Bürgerkrieg und schließlich in den Stalinismus. Ihre Beurteilung ist heute in Russland so umstritten wie unter den Zeitgenossen vor 100 Jahren.
Martin Aust, Die Russische Revolution. Vom Zarenreich zum Sowjetimperium, C.H.Beck 2017
Manfred Hildermeier, warum Russland?
Das ist eine schwierige Frage, weil all die Weichenstellungen samt ihrer Motive mittlerweile so weit zurückliegen – und sich die Zeiten wahrlich geändert haben. Seinerzeit habe ich während eines Studiums der Geschichte und Germanistik Russisch gelernt, weil das nicht das Normale, sondern etwas Ausgefallenes war. In der Kombination mit dem Fach meines besonderen Interesses ergab sich daraus die Konzentration auf die Osteuropäische/Russische Geschichte von selbst. Dies brachte mich mit einem Promotionsstipendium nach Kiev, das seinerzeit zur UdSSR gehörte und wie diese in der Tat zivilisatorisch wie klimatisch eine andere Welt war. Als ich im Januar 1973 bei minus 28 Grad und strahlend blauem Himmel meinen ersten Spaziergang durch das tief verschneite Kiev machte und von goldener Kuppel zu goldener Kuppel eilte, hatte ich in der Tat den Eindruck, dass hier alles, wirklich alles anders war – durchaus ambivalent, auch entbehrungsreich und frugal, aber zugleich faszinierend. Nach meiner Rückkehr und der Fortsetzung meiner Recherchen zum Thema meiner Dissertation habe ich dann im Archiv des Internationalen Instituts für Sozialgeschichte in Amsterdam durch puren Zufall ungeöffnete und völlig neue, zugleich zentrale Materialien entdeckt – und so wird man Osteuropahistoriker und Russlandspezialist.
Andreas Kappeler, warum Russland?
Wie für viele andere junge Menschen war es die schöne Literatur, die mich für Russland begeisterte. In meinem Studium der Geschichte und Slawistik und während mehrerer Studien- und Forschungsaufenthalte in St. Petersburg und Moskau vertiefte sich dieses Interesse. Auf Reisen entdeckte ich, dass das Zarenreich und die Sowjetunion nicht mit dem heutigen Russland gleichzusetzen sind und nur zur Hälfte von ethnischen Russen bewohnt waren. Dies führte mich zu einer neuen Ausrichtung meiner Forschung auf die Geschichte der Nationalitäten in beiden Imperien, die ich am Beispiel der Tataren, Tschuwaschen und anderer Völker der Mittleren-Wolga-Region genauer untersuchte (mit einem 1982 und einem 2016 publizierten Buch). Den Versuch einer Synthese legte ich in meinem Buch Russland als Vielvölkerreich vor (C.H.Beck 1992).
In der Folge wandte ich mich vermehrt der Geschichte der Ukrainer zu, dem in beiden Imperien weitaus zahlreichsten nichtrussischen Volk (Kleine Geschichte der Ukraine, C.H. Beck 1994). Die Verbindung meiner Interessen für die Geschichte Russlands und der Ukraine führte mich zum Forschungsfeld der russisch-ukrainischen Wechselbeziehungen, denen ich mehrere Studien widmete. Mein jüngstes Buch Ungleiche Brüder. Russen und Ukrainer vom Mittelalter bis zur Gegenwart (C.H.Beck 2017) hat durch das bewaffnete Eingreifen Russlands in der Ukraine traurige Aktualität erhalten. Angesichts der innenpolitischen Entwicklung in Russland und des russisch-ukrainischen Krieges fällt es mir heute schwer, meine Begeisterung für Russland und seine Kultur aufrechtzuerhalten und sie an junge Menschen weiterzugeben. Es bleibt die Hoffnung, dass die Entfremdung zwischen Russland und dem Westen nicht länger andauern wird.
Andreas Kappeler, Ungleiche Brüder. Russen und Ukrainer vom Mittelalter bis zur Gegenwart, C.H.Beck 2017
(c) action press
Gabriele Krone-Schmalz, warum Russland?
Schon als heranwachsender Mensch konnte ich mir nicht vorstellen, dass die simplen Denkkategorien des „Kalten Krieges“ – hier die Guten, dort die Bösen – für das Begreifen der Welt taugen. Ermutigt durch ein weltoffenes Elternhaus, in dem ideologisches Denken keinen Platz hatte, begann ich, mich für den Teil der Erde zu interessieren, der hinter dem „Eisernen Vorhang“ lag. Im Alter von 15 Jahren lernte ich in einem Spracheninstitut Russisch. Es folgte ein Studium der Osteuropäischen Geschichte und der Politischen Wissenschaften. In meiner Dissertation habe ich mich dann dem Thema Freund-Feind-Bilder mit Blick auf Russland bzw. auf die Sowjetunion gewidmet. Nach zehn Jahren Arbeit als Fernsehjournalistin im Ressort Innenpolitik wurde ich ARD-Korrespondentin in Moskau und erlebte von 1987 bis 1991 die revolutionären Umbrüche in der Sowjetunion und deren Auflösung. Seither hat mich das Thema Russland nicht mehr losgelassen.
In der journalistischen Berichterstattung müssen komplizierte Zusammenhänge möglichst einfach dargestellt werden. Dies gilt letztlich für alle Medien, insbesondere aber natürlich für das Fernsehen. Und leider steht für diese schwierige und verantwortungsvolle Aufgabe in der Regel nur relativ wenig Zeit zur Verfügung, sowohl für die Darstellung selbst als auch in der Vorbereitung. Dieser Umstand ist ein nicht zu unterschätzender Stolperstein auf dem Weg zu einer ausgewogenen Berichterstattung, die Hintergründe verständlich macht, Zusammenhänge nicht verzerrt und auch die Sichtweise derjenigen zu begreifen sucht, die bei uns als „Gegner“ gesehen werden. Denn nur wer die Motive des Gegenübers, die Beweggründe seines Handelns und seine Empfindlichkeiten versteht, kann eine Politik des Ausgleichs und der Entspannung betreiben und damit das sichern, auf das es doch vor allem anderen ankommt: den Frieden.
Meine zahlreichen Bücher über Russland wenden sich demzufolge gegen Schwarz-Weiß-Malerei – ebenso bequem wie gefährlich –, nehmen Perspektivwechsel vor, um die Dinge auch einmal von einer anderen Warte aus zu betrachten und versuchen Interessen auf den Grund zu gehen, ganz gleich auf welcher Seite. Mit anderen Worten: Mein Bestreben ist es, Analysen und Hintergründe für eine informierte Debatte zu liefern, ohne die eine Demokratie auf Dauer nicht funktionieren wird. Will Russland seinen Einflussbereich aggressiv ausdehnen oder strebt es danach, diesen aus einer Position der strategischen Defensive heraus zu bewahren? Über diese Kernfrage müsste intensiv gestritten werden, denn die Antwort ist entscheidend dafür, welche Politik wir gegenüber Russland verfolgen sollten: Eindämmung durch Abschreckung oder Wandel durch Annäherung.
Gabriele Krone-Schmalz, Eiszeit. Wie Russland dämonisiert wird und warum das so gefährlich ist, C.H.Beck 2017
(c) Christoph Mukherjee
Mein Russland-Komplex
Unter diese Überschrift hatte ich schon im März 2007 meine Dankesrede gestellt, als mir für mein Buch Der Russland-Komplex der Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung verliehen wurde. Zu diesem Komplex alter, kulturell oft fruchtbarer, politisch oft problematischer deutsch-russischer Attraktionen zählte auch die kommunistische Weltbewegung seit 1917, deren historischer Aufschlüsselung ich mein jüngstes Buch Die Farbe Rot gewidmet habe.
Dieses in Nebel getauchte, in einen weiten Osten gerückte Russen-Land hat meine kindlichen und jugendlichen Fantasien früh beschäftigt, so westlich und frankophil ich aufgewachsen bin: mein Onkel, der Arzt in Stalingrad und Spätheimkehrer war; die allfälligen Warnungen des Bonner Kanzlers Adenauer vor den „Soffjets“; die Bilder der Skelette auf den killing fields des Weltkriegs, von Leningrad bis Auschwitz; die Schießscheiben mit dem gedrungenen Umriss eines „Iwan“, auf die ich als eingezogener, nicht-anerkannter Wehrdienstverweigerer 1965 nicht schießen wollte ...
Ob und wie alle diese disparaten Bewusstseinspartikel zu jenem lebensgeschichtlichen Entschluss 1968 beigetragen haben, mich ein langes Rotes Jahrzehnt lang in eine neokommunistische Sektenwelt einzuschließen – die im Banne einer mythisierten Russischen Revolution stand, die real existierende Sowjetunion jedoch von links scharf ablehnte –, ist nicht leicht zu sagen.
Es bedurfte jedenfalls erst des großen Streiks auf der Danziger Lenin-Werft im Sommer 1980, des Erscheinens Gorbatschows und der weltpolitischen Zuspitzungen und Entspannungen vor 1989, des epochalen Berliner Mauerfalls und des anschließenden Zusammenbruchs der Sowjetunion, um sich dem wirklichen, lebendigen Russland wieder neu zu nähern.
Dazu haben die von Leben und Tragik erfüllten Erinnerungen Lew Kopelews und die lange, fruchtbare Zusammenarbeit und Auseinandersetzung mit ihm; die spät und mühsam erlernte russische Sprache und ihre Verzauberung in den poetischen Liedern von Wyssotski und Okudshawa; die Bekanntschaft mit den wunderbar widerständigen Menschenrechtlern von „Memorial“ in Moskau wesentlich beigetragen. Und dann war da eine Odyssee 2001 im tiefen russischen Raum auf einem selbstgezimmerten Floß die Wjatka abwärts, Nächte auf dem Fußboden in ländlichen Holzhäusern, betrunkene Abende bei unbekannten Freunden in einem Provinzstädtchen, das wie aus der Zeit gefallen wirkte – während in Tschetschenien gekämpft, gefoltert und gestorben wurde und in Moskau ein schmallippiger neuer Führer aus der Mitte des alten Machtapparats trat und die alte, rote Hymne mit neuem, weißem Text singen ließ.
Russland, so reich und so arm, so groß und so eng, so verzaubert und so nackt, so mächtig und so ohnmächtig ... Wer sich rühmt, die Kreml-Oligarchen „zu verstehen“, hat oft am wenigsten verstanden.
Gerd Koenen, Die Farbe Rot. Ursprünge und Geschichte des Kommunismus, C.H.Beck 2017
Margareta Mommsen, warum Russland?
Warum mich Russland als Studienobjekt fasziniert, hat mehrere Gründe. In Niederösterreich geboren und aufgewachsen hatte ich 1945 Kontakt mit den Soldaten der Roten Armee. Davon blieben nachhaltige Eindrücke von einem Menschenschlag mit warmherziger Kinderliebe und spontaner Hilfsbereitschaft. Eine riesige Neugierde an Land und Leuten wurde ich fortan nicht mehr los.
Mein Interesse an Sprachen führte mich auch zum Russischen. Die Lektüre der großen russischen Dichter, das Hören und Sehen von Bühnenstücken und Opern russischer Komponisten verstärkten vorhandene Vorlieben.
Im Rahmen meiner politikwissenschaftlichen Studien landete ich erneut wie selbstverständlich bei Russland. Gorbatschows Perestroika brachte dann einen gewaltigen Schub für eine noch intensivere Beschäftigung mit den Besonderheiten des Landes, mit der Geschichte der politischen Institutionen und der landestypischen politischen Kultur. Für die Disziplin des „Systemvergleichs“ boten die Veränderungen unter Gorbatschow, Jelzin und Putin viel Anschauungsmaterial, zugleich aber auch große Herausforderungen. Wie waren die neuen Phänomene herrschaftstypologisch einzuschätzen? Welche Kriterien und Methoden sind bei der Analyse des Systemwandels mehr oder weniger ergiebig? Gorbatschows Perestroika und das „System Jelzin“ ließen sich dank einer sich ausweitenden Meinungsfreiheit und folglich reichhaltiger publizistischer Quellen recht gut aufschlüsseln. Seit der Verfestigung der autoritären politischen Strukturen im „System Putin“, wozu die Steuerung der Medien gehört, ist es hingegen deutlich schwieriger geworden, hinter die Kulissen der Macht zu blicken und Vorboten eines etwaigen Systemwandels überhaupt auszuloten. Das macht die Beschäftigung mit dem „Putinismus“ gewiss nicht weniger spannend, ganz im Gegenteil. Gerade der undurchsichtige Charakter des Systems und seine propagandistische Natur stärken die Faszination des Betrachters für das Objekt seiner Wissbegierde noch mehr.
Margareta Mommsen, Das Putin-Syndikat. Russland im Griff der Geheimdienstler, C.H.Beck 2017
Dietmar Neutatz, warum Russland?
Meine ersten Begegnungen mit Russland waren die Erzählungen meines Vaters über seine Eindrücke von den Menschen und ihren Lebensverhältnissen in den Dörfern, in die er während des Zweiten Weltkriegs gekommen war. Hinzu kamen Erlebnisberichte von Bekannten, die in den 1970er Jahren beruflich in der Sowjetunion zu tun hatten. Diese Schilderungen weckten schon als Jugendlicher mein Interesse für dieses Land, dessen politische Repräsentanten damals (in der Zeit vor der Perestrojka) keinen sonderlich gewinnenden Eindruck hinterließen. So begann ich 1983 Geschichte und Russisch zu studieren. Letzteres war damals vor dem Hintergrund des Afghanistankrieges alles andere als populär, aber gerade das reizte mich, und außerdem hatte ich bald einen emotionalen Bezug zur russischen Sprache und Kultur. Aus dem Wunsch, beide Fächer miteinander zu verbinden, ergab sich im weiteren Verlauf des Studiums die Spezialisierung auf die russische Geschichte.
Bis heute interessieren mich vor allem lebensweltliche Fragestellungen: Alltag, Mentalitäten, Prägungen, Wunschvorstellungen. Ihnen ging ich zunächst für das späte Zarenreich und dann für den Stalinismus der 1930er Jahre nach. Aber auch in meiner Geschichte Russlands im 20. Jahrhundert ist dieser Zugang zentral. Der Titel Träume und Alpträume soll zum Ausdruck bringen, dass es in diesem Buch nicht vorrangig um eine politische Geschichte geht, sondern um historische Lebenswelten: Was bedeuteten die Umbrüche und Entwicklungen zu verschiedenen Zeiten für die Menschen? Wie veränderten sich der Alltag und die Lebensverhältnisse in den Städten und auf dem Land, im Zentrum und in der Peripherie? Im Grunde sind das die gleichen Fragen, die sich jedem stellen, der Russland bereist oder sich länger dort aufhält – nur eben auf die Vergangenheit bezogen.
Dietmar Neutatz, Träume und Alpträume. Eine Geschichte Russlands im 20. Jahrhundert, C.H.Beck 2013
© Siemens-Stiftung
Russland – ja, warum Russland?
Dass Osteuropa, besonders Russland, mich ein Leben lang in Atem halten würde, war bei mir – Jahrgang 1948, geboren im Allgäu – nicht von vornherein ausgemacht. Es kamen verschiedene Dinge zusammen: die Kriegserfahrung des Vaters, die Flüchtlinge aus dem Osten, Russisch-Unterricht an einer bayerischen Klosterschule, eine frühe Reise nach Prag (1965), also in den Prager Frühling hinein, und in die Sowjetunion (1966), die späte Studentenbewegung mit ihren diversen Marxismen, das Studium – zuerst in Westberlin, später auch in Moskau und St. Petersburg – und nicht zuletzt ein Interesse an Maos China, weil die es offensichtlich anders gemacht haben als in der Sowjetunion. Andere gingen aus der engen Bundesrepublik nach Westen – nach Paris, an amerikanische Universitäten –, ich ging nach Osten. Dort gab es eine Geschichte, von der wir im Westen nur wenig wussten: Jahrhunderte engster Nachbarschaft, großartige Landschaften, die in den Blitz- und Vernichtungskriegen der Deutschen im 20. Jahrhundert zugrunde gerichtet worden sind. Wo immer man hin kam – in Prag, Lodz, Riga, Lemberg, Kiew, Leningrad –, überall waren die Spuren dieser doppelten Beziehung zu besichtigen, vor allem an den Stätten der Schoah. Auf Schritt und Tritt begegnete man Menschen mit furchtbaren Schicksalen, die kein noch so phantasiereicher Schriftsteller sich hätte ausdenken können. Dieser Blick in die andere Geschichte Europas hat alle anderen Erfahrungen, die ich auch machte, vor allem in den USA, aufgewogen. Ich fühlte mich im östlichen Europa wohl, fast wie zuhause, aber sah als Fremder doch Dinge, die Einheimischen meist entgehen, weil sie ihnen selbstverständlich sind. Mich hat Russlands Aufbruch ins 20. Jahrhundert fasziniert (vor allem in St. Petersburg), mich hat die russische Diaspora der 1920er Jahre beschäftigt (vor allem die in Berlin), mich ließ die Frage des „Warum?“ – wie konnte man sich die Selbstzerstörung in den Stalinschen Säuberungen der 1930er Jahre erklären – nicht los. Und schließlich: ich wurde Zeuge der Selbstauflösung der Sowjetunion in den späten 1980er Jahren, Zeuge eines neuen Aufbruchs am Ende des 20. Jahrhunderts. Von diesem scheint nach Putins Wendung in die Aggression – Annexion der Krim und Krieg im Donbass – nichts geblieben. Mein letztes Buch Das sowjetische Jahrhundert ist ein Blick auf die Sowjetwelt, vom Ende her gesehen, der Versuch, sich einen Reim zu machen auf eine Lebensform, die sich offensichtlich erschöpft hatte und zu einem Ende gekommen war.
Karl Schlögel, Das sowjetische Jahrhundert. Archäologie einer untergegangenen Welt, C.H.Beck 2017